Porträtfotografie ist etwas anderes als Mode- oder Lifestyle-Fotografie. Bei letzteren stellt man vielleicht ein Model in einer mehr oder weniger dekorativen Umgebung vor die Kamera, wünscht sich als Fotograf eine bestimmte Pose und/oder einen bestimmten Ausdruck vom Model und macht dann ein Foto davon. Dann vergleicht man das Ergebnis mit seinem Vorhaben, ist entweder zufrieden oder korrigiert Model und Szenerie für die nächste Aufnahme. Ich sehe oft solche Bilder und bin nicht selten begeistert von der durchdachten Komposition, von der stimmigen Farbgebung, von den bewusst gesetzten Akzenten und der tollen Atmosphäre im Bild.
Das alles löst oft genug bei mir einen ganz besonderen WOW-Effekt aus und ich bin dann fast traurig darüber, dass ich das nicht kann. Aber es ist nun mal nicht meine Welt.
Porträtfotografie lebt vom Augenblick, lebt von der verbalen oder auch ganz besonders der nonverbalen Kommunikation zwischen den Akteuren vor und hinter der Kamera; in einem ganz besonderen, seltenen Idealfall lebt sie auch vom nach außen sichtbaren Inneren, das bis dahin für die Kamera verborgen blieb.
Deshalb gehe ich fast nie mit einer bestimmten Vorstellung zu einem Fototermin und lehne meistens auch die manchmal geäußerte Bitte, vorher zu telefonieren, ab. Ich möchte diesem uninszenierten Augenblick die Chance geben, etwas Unerwartetes, etwas Neues zu sehen, zu erleben und dann halt durch die Kamera auch für Dritte erlebbar und nachvollziehbar zu machen.*
Ich möchte mich dabei gemeinsam mit dem ‚Model‘ der Situation hingeben und schaue gespannt darauf, was wohl passieren wird – und die gleiche Spannung und Zufriedenheit mit dem, was sowieso passiert, wünsche ich mir auch vom ‚Model‘.
Und was ist jetzt mit der Begleitperson?
Es macht nichts, wenn beim Fotoshooting drumherum viele anonyme Menschen sind, z.B. im Café oder auf einem Platz in der Stadt. Aber es beeinflusst das Ergebnis, wenn eine bekannte Person anwesend ist. Und ich meine dabei garnicht diejenigen Zeitgenossen, die sich beim Fotografieren der Partnerin ständig in den (verbalen) Vordergrund spielen müssen, weil sie doch so tolle Typen sind. (Keine Erfindung, zwei Mal live erlebt!).
Durch die Begleitperson, sei sie auch noch so weit entfernt, fehlt schlicht die vollkommen unvoreingenommene, gegenseitige, ausschießliche Konzentration auf das jeweilige Gegenüber. Und nur in einer ebenso entspannten wie konzentrierten Situation besteht die Möglichkeit, Nuancen wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Und allein diese uneingeschränkte Wahrnehmung bietet den Hauch einer Chance, einen tieferen Blick ins Innere des Gegenübers zu werfen. Ohne sie entgehen einem nicht nur die meisten, sondern schlicht fast alle dieser wunderbaren Augenblicke.
Das ist leider vielen ‚Models‘ – ich mag diese Bezeichnung nicht, sie ist bei meiner Fotografie schlicht falsch! – eher fremd und lässt mich immer mehr Abstand nehmen von dieser so genannten ‚Model’fotografie.
Ich möchte also lieber kein Model fotografieren, sondern einen – im größten Glücksfall unverstellten – Menschen und auf den möchte ich mich zu einhundert Prozent konzentrieren; genauso wie ich es mir auch von meinem Gegenüber wünsche.
P.S. Ich habe ja durchaus ein paar Fototermine mit Begleitperson gemacht; aber fast immer hatte ich den Eindruck, dass dies der Begleitung wichtiger war, als dem Model und in einem Fall war die panische Angst der Begleitperson vorm Kontrollverlust jederzeit spürbar.
* Drei Anmerkungen dazu:
– Die Zahl der von mir dabei miterlebten, mit den Augen gesehenen Augenblicke, die nicht das Glück – oder auch Pech – haben, zu belichteten Pixeln auf dem Kamerachip zu werden, ist riesig! Und manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass mein Unvermögen, meine Unprofessionalität auch mein größtes Glück ist.
– Natürlich muss es Absprachen geben; Termin, Ort und auch Outfit. Gerade bei letzterem haben ich das Gefühl, dass es der porträtierten Person auch etwas Sicherheit für die bisweilen ja auch ungewohnte Situation gibt. Ich rate fast immer, etwas auszuwählen, worin man sich selbst wohlfühlt. Dann werde auch ich halt hin und wieder überrascht, kann mir aber fast immer sicher sein, dass das Outfit authentisch ist.
– Der Ort ist fast immer unwichtig, weil ich ohnehin ’nah dran‘ bin und die Umgebung meist nur als einordnender Hintergrund erkannt wird. Aber manchmal findet ein Fototermin auch an einem sehr bestimmten Ort statt und dann ist auch die Frage des Outfits viel zielgerichteter zu beantworten, da ja beides zueinander passen muss.